Tag und Nacht
Vorvort: C. G. Jung
Die Atmosphäre des Schmid’sen Buches ist mir nur zu vertraut; deshalb fand ich es bei der Lektüre des Manuskriptes zuerst schwierig, mich von der Umklammerung der tagtäglichen Erfahrungen in der psychotherapeutischen Praxis zu lösen - bis es mir gelang, das Buch vor seinen historischen Hintergrund zu rücken. Ist es doch in unserer Zeit ein literarischer Fremdling, dem nichts verwandt zu sein scheint. Seine seltsame Form - nämlich Aventüren allegorischen Charakters - erinnert an das 18. Jahrhundert. Sie erinnert allerdings bloss daran, denn ihr innerer Gehalt ist dem 18. Jahrhundert fremd. Dieser Gehalt mit seiner eigentümlichen Gefühlsproblematik ist modern und enthüllt dem Leser eine Welt des Erlebens, die seit den Zeiten René d’Anjous verschüttet zu sein schien; jene ganze Welt des sinnerfüllten Eros, den die jüngste päpstliche Enzyklika, die christliche Ehe betreffend, zusammen mit dem, auf das Strafgesetz basierten Allerweltsgewissen, in schreckenerregender und geflissentlicher Weise übersieht. Es ist eigentlich ein esoterisches Buch, weil es ein Blatt ist, heruntergefallen von der unverwelklichen, mystischen Rose, deren Geheimhaltung die frühmittelalterlichen Dichter der Kirche verargten. Als ob irgendeine Kirche das Geheimnis je gewusst - und wenn gewusst - es je ertragen hätte! Es ist nicht für die Masse und nicht aus der Masse. Es lebt nur für jene wenigen, die es bezweifeln können. Für die Vielen aber möge dieses Buch besser nicht existieren oder dann doch wenigstens nur um seiner schlechten Reputation willen gelesen werden. Das Beste, was es für diese Vielen bedeuten kann, ist seine Unschädlichkeit. Vor bald 500 Jahren wurde ein ähnliches Buch geschrieben, ebenfalls an einer kulturgeschichtlichen Zeitwende, und ebenfalls ein Blatt jener Rose… Eine ritterliche Aventüre und ein Ärgernis der Gemeinen: die Hypnerotomachia, jener berühmte “Poliphilo”, der für einen Augenblick den Schleier vor dem seelischen Hintergrund des Cinquecento Iüftete. Aus der Vorrede zu jenem Buch möchte ich eine klassische Stelle hersetzen, welche zeigt, wie die Ritter der Rose über die Jahrhunderte hinweg sich die Hand reichen:
,Parquoy ainsi qui’l est evident tous les sages ont pratiqué les sciences soubs l’ombre des plus beaux replis d’amour. L’amour a esté et est encor le gracieux pinceau qui a tracé ce qui est rare et destiné, tant entre les puissances superieures que les inferieures, et ce qui est de leur subiet…
Scachez, voyez et entendez, et vous remarquerez prudemment que tous les plus specieux, magnifiques et bons mysteres, ont esté cachez et retracez soubs les beautez d’amour, car l’amour est l’ame hereuse de tout…
Si ie scavois que quelque profane osast estendre sa main detestable sur ce volume pour le manier, ou que quelque indigne s’avanca pour le fueilletter, que quelque arrogant superstitieux engloutissant de la reputation des belles ames, en tirat um petit de plaisir, ou que le malin spectateur des benefices souverains avec ennuie y cherchast le bien qui n’appartient qu’aux caeurs d’amour, ie briserois la plume qui trace tant de revolutions de beaux mysteres, ie voudrois en m’oubliant retrancher toute la memoire qu’il y a de se representer le contentment qui se pratique á voiler mignonnement avec les toiles de belles fixions, ce qui est rare, et seul experient a scavoir s’eslever sur tout ce qui est de vertueux, et me frustrant moy-mesme de la vie de ma vie, ie m’abstiendrois de traiter avec plaisir les fructueux appasts qui attirent aux voluptez sacrees…’
Da das witzlose Wörtlichnehmen auch in 400 Jahren nicht ausgestorben ist, möchte ich die klassiche Warnung, die das Unbewusste dem Poliphilo auf die Aventüre im dunkeln Lande mitgab, auch dem geneigten Leser dieses Buches einprägen: ‘Quisquis es quantumque libuerit, huius thesauri sume: at moneo, aufer caput, corpus ne tangito.‘2
C. G. Jung.
1: Hierdurch ist nun offenkundig, dass alle Weisen die Wissenchaften im Schatten des Geheimnisses der Liebe betrieben haben. Die Liebe war, und ist noch immer der anmutige Pinsel, der schildert, was selten und schicksalhaft bestimt ist, sowohl be den höhern, wie bei den niedern Mächten und allem, was ihnen untertan ist…
Wisset schauet und höret, und ihr werdet weise erkennen, wie die auffälligsten, erhabensten und kostbarsten Mysterien verborgen ruhen in den Wundern der Liebe, und neu aus ihr hervorgehen; denn die Liebe ist die Seele alles desen, was ist…
Wenn ich wüsste, dass irgendeine Ungeweihter es wagen sollte, seine erbärmliche Hand nach diesem Buch auszustrecken, um es zu befingern; oder ein Unwürdiger darin blättern würde; oder, dass ein abergläubischer, unverschämter Mensch, unter dem Deckmantel der Frömmigkeit, ein billiges Vergnügen darin suchen würde; oder dass ein boshafter Betrachter der göttlichen Gaben aus Langeweile den Segen daraus zu gewinnen suchte, der einzig liebenden Herzen gebührt - so würde ich die Feder zerbrechen, die so viele Gestaltungen des grossen Geheimnisses aufgezeichnet hat - ja, ganz mich vergessend, würde ich alles Bewusstsein austilgen, dass sich die Befriedigung ausmalt, die darin liegen mag, mit den Bildern schöner Dichtungen auf niedliche Weise zu verschleichern, was selten ist, und gierig nur ein Wissen davon zu erhaschen sucht, um sich dann über alles, was tugendhaft ist, hinwegzusetzen; und liber brächte ich mich um das Leben meines Lebens und würde mich enthalten, den üppigen Rezen freudig zu folgen, die zu den heligen Lüsten rufen.
2: Wer immer du bist, nimm aus diesem Schatz, was dich freut - aber ich ermahne dich, dass du nehmest den Kopf und den Leib nicht berührst
I. Tag
Der Tag graute kaum, als der Kapitän an die Türe meiner Kabine klopfte: “In einer Stunde fahren wir in den Hafen von Kollektivopolis ein! Wenn Sie die Insel von der See aus sehen wollen, so kommen Sie rasch auf Deck.”
Fünf Minuten später stieg ich die schmale Wendeltreppe hinauf. Vor dem hellen Himmel lag die Insel lang hingestrect auf dem Wasser, von West nach Ost langsam zu einem hohen Berg ansteigend.
Aus seiner Kraterspitze kräuselte ein leichter Rauch. Wir fuhren der Südseite zu. In blauen Morgenschleiern lagen weite Wälder und fruchtbare Täler, friedliche Mulden, und wilde Schluchten - alles überzohen von üppingem Wachstum, wie es nur vulkanischen Boden entspringt. Von einer Stadt, onder irgendwelcher Spur von Zivilisation war nichts zu entdecken. Als wir uns der flachen Westzeite näherten, zeigte mir das Fernglas eine mächtige Mauer, die vom äussersten Zipfel aufsteigend, die ganze Insel in zwei Teile schnitt. Unterhalb des höchsten Gipfels verliess die Mauer die Wassercheide und umkreiste nordwärts die Spitze der Insel.
Die Bemannung des Schiffes hatte mit Vorbereitungen zur Einfahrt genug zu tun, und von den Reisenden war noch keiner auf Deck, so dass ich niemand über den Sinn dieser Mauer befragen konnte. Ich wartete also gespannt auf das, was sich mir jenseits von ihr zeigen werde.
Der Sonnenaufgang war uns durch die Insel verdeckt, aber um so klarer hob sie sich selbst vom farbig strahlenden Himmel ab. Mächtige Palmen und Zypressen, riesenhafte Pyramiden von Wellingtonien und silberne Oliven ragten überall aus üppingem, niederem Gebüsch. Es war kein tropischer Urwald, eher ein verlassener, gewaltiger Park, vielleicht vor Jahrhunderten von reichen Fürsten angelegt, vielleicht auch ein heiliger Hain, nur konnte ich nirgends Tempel, noch Statuen, noch Altäre entdecken.
Die hohe Mauer endete in einem Bollwerk, das bis weit ins Meer hinauslief. Schon tauchten einige Turmspitzen auf. Wir rückten allmählich auf die Höhe der Insel vor und jetzt erblickte ich, jenseits der Mauer, über die ganze Nordseite der Insel ausgebreitet, terrassenförmig gegen die Mauer ansteigend, die grosse Stadt Kollektivopolis.
Aber wie auch die aufsteigende Sonne das mächtige Stadtbild vor mir verklärte, seine streng geometrische Anlage liess mich kalt. Auffallend war die grosse Zahl stattlicher Bauten, allem Anschein nach öffentliche Gebäude. Das Gross zügigste aber, was ich in dieser Art je gesehen, war eine Anlange von zahllosen, gleichartigen, sinnvoll angeordneten Häusern, die sich allesamt zu einer riesigen Anstalt zusammenfügten und das breite Tal ausfüllten, das sich vom Meer hinauf der Mauer entlang in die Insel hineinzog.
Ich musste in die Kabine zurück, um meine Habseligkeiten zusammenzupacken, das Ziel meiner Reise war erreicht.
Am Hafen erwartete mich mein Jugendfreund, der Oberpfarrer von Kollektivopolis, den ich für zwölf Tage im Amt verteten sollte. Er führte mich durch die bewegten Strassen der Stadt nach dem Pfarrhaus. Ich äusserte mein Erstaunen über die beispiellose Sauberkeit. “Das ist hier nicht anders möglich - und du wirst das bald besser verstehen,” meinte lächelnd mein Freund.
In seiner Studierstube angelangt, gab er mir alsbald eine kurze Orientierung über die Verhältnisse, die ich hier vorfinden würde, da er schon in wenigen Stunden abreisen musste. “Nicht nur, um mir selbst einen Dienst zu erweisen, habe ich dich hierhergebeten,” sagte er. “Seitdem ich dein Manuskript gelesen habe, bin ich überzeugt, dass es für dich von grösstem Interesse sein wird, vieles von dem, was du aus deinen Gedanken beschrieben hast, in den Institutionen unserer Insel, wie in einem lebendigen Experiment verwirklicht zu sehn.
Ihr auf dem Festland erfahrt nur wenig von dem, was hier auf der Insel geschieht. Denn um jede Beeinflussung auszuschliessen, besteht bei uns seit Jahren die strengste Zensur über alles, was geschrieben ein- und ausgeführt wird. So hast du sicher vor zehn Jahren von der revolution auf unserer Insel gehört, in der ein Drittel der Bevölkerung zugrunde ging, aber von ihrer wirklichen Ursache und Folge hast du wohl kaum eine Ahnung.
Bis zu dieser Revolution regierten Zwillingsbrüder als Könige gemeinsam die anze Insel - doch wussten davon nur die nächsten Eingeweihten. Denn die beiden sahen einander so ähnlich, dass wir alle glaubten, nur einem König zu dienem. So sehr sie sich aber äusserlich glichen, so verschieden war ihr inneres Wesen - und so verchieden, ja völlig entgegengesetzt, waren ihre Ziele und ihre Art zu regieren. Schon bald nach ihrer Thronbesteigung mussten sie die Unmöglichkeit meinsamen Herrschaft einsehn und sie fanden den Ausweg, dass jeder von ihnen abwechselnd eine Woche lang das Szepter führen sollte. Der gegensätzliche Einfluss aber, der sich also von höchster Stelle auswirkte, trennte mit der Zeit auch das Volk in zwei immer schärfer sich bekämpfende Lager - bis schliesslich der Bruderkrieg ausbrach.
Du wirst vom Meere aus die hohe Mauer gesehen haben, die heute die Insel spaltet, sie ist die Folge dieser Revolution. Die Brüder sahen kein anderes Mittel, dem blutigen Krieg der beiden gleich starken Parteien ein Ende zu machen, als die Insel unter sich zu teilen. Jetzt beherrscht der eine diesseits der Mauer die Stadt Kollektivopolis, der andere, jenseits der Mauer, das üppige Land Individien.”
Ich bat meinen Freund um eine kurze Schilderung der beiden Gegensätze.
“Diesseits herrscht der Grundsatz: ‘Einer für alle’ - jenseitz das Gegenteil davon: ‘Alle für einen’. Mit andern Worten: hier hat das Leben des Einzelnen nur den Zweck, die Gesamtheit zu fördern, drüben dient alles dem Wachstum des Einzelnen.
Anfangs gab es kein einziges Tor in der hohen Mauer und eine scharfe Küstenwache waltete beiderseits ihres Amtes. Die Statd nahm einen gewaltigen Aufschwung; sie vergrösserte sich rasch, die Zahl der Gesetze und Verordnungen wuchs mit jedem Monat; Handel und Industrie blühten, während drüben in Individien sich die Einzelnen hemmungslos zu Originalen entwickelten. Aber schon nach wenigen Monaten zeigten sich diesseits und jenseits der Mauer bedenkliche Erscheinungen: unter den Künstlern und Gelehrten der Stadt mehrten sich die Selbstmorde so sehr, dass man von gegenseitiger Ansteckung sprach; in den Schueln trat eine Zitterepidemie nach der andern auf, so dass die Lehrinstitute öfters geschlossen werden mussten; das lawinenartige Zunehmen der Gesetze und Vorschriften schränkte die Bewegungsfreiheit des einzeln Bürgers dermassen ein, dass eine allgemeine Depression jede Freude im Keim erstickte; Handel und Industrie, immer gleichen Bahnen folgend und allen Anregungen und Neuerungen abhold, gingen der Stagnation entgegen.
In Individien dagegen drohte der Staatsbankrott und da jede organisatorische Tätigkeit zugunsten des Gesamtwohles verpönt war, trieb der Staat jenseits der Mauer immer mehr einer völligen Anarchie entgegen. Die schwerste Not aber litten die Menschen drüben durch den Hunger; denn wohl wachsen in dem üppigen Land herrliche Früchte, aber auch ihre reiche Fülle genügt nicht, den Körper gesund zu erhalten.
Da mussten die beiden Völker mit ihren Königen einsehen, dass sie nicht eines ohne das andere leben konnten.
Wenn du den Charakter der Inselbewohner erst einmal kennst, wirst du verstehen, wie schwer es war, einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten zu finden. Die Feindschaft zwischen den beiden war seit der Revolution unvermindert geblieben und besteht noch heute fort. Nichts ist den Menschen hier verhasster als Kompromisse. Der erste Vorschlag, die Mauer wieder niederzureissen, wurde abgewiesen. Nach vielen Versuchen und manchen Fehlschlägen einigte man sich auf den jetzigen Zustand. Du wirst ihn durch die Wirklickeit besser als durch meine Worte kennen lernen.
Nur soviel noch, das dir zum Verständnis nützlich sein wird: Weitaus die meisten Menschen hier leben seither ein Doppelleben zwischen Kollektivopolis und Individien, das sie aber bewusst als solches empfinden, um nicht wie früher, in Zwiespalt und Kampf gerissen zu werden. Die Schwierigkeit, besonders für uns Seelsorger, besteht darin, zu erkennen, wo die Linie zu ziehen ist, die das Leben des Einzeln in zwei Hälften sondert. Denn so einfach es war die Insel durch die Mauer zu teilen, so schwer ist es, zu wissen, von welchem Augenblick an Individien einem Menschen mehr nützt, als schadet und umgekehrt. Ich, für mich, teile die Bewohner in drei Klassen ein: in Freie, Hörige und Sklaven. We als Freier hier in der Stadt lebt, der ist ein Sklave in Individien; und wer sich jenseits der Mauer zur Freiheit durchgerungen hat, der muss in Kollektivopolis Sklavendienste leisten. Dazwischen liegt der grosse Haufe der Hörigen, sie gehören zum Teil zur Stadt, zum Teil zu Individien, aber sie sind nirgends frei und nirgends Sklave. Sie werden dich am meisten beschäftigen, denn unter ihnen sind viele, die, um gesund zu bleiben, weiter wachsen müssen, um sowohl frei als Sklave zu werden. Aber oft ist es sehr schwer zu entschieden, ob einer sich um Freien in Kollektivopolis oder in Individien auswachsen muss, der kleinste Fingerzeig in falscher Richtung kann die schwersten Folgen haben.
Nur wenige gibt es, hier und drüben, die kein Doppelleben führen, die ganz auf einer Seite der Insel leben können. Es sind beiderseits die Höchsten und die Niedrigsten. Hier die Minister des Königs der Stadt, die, wie er selbst, in übermenschlicher Kraft die Einseitigkeit ertragen, ohne daran zugrunde zu gehen; und die ganz Schlichten, die von Natur sich nur eines Triebes, des Herdentriebes, bewusst sind.
Drüben sind es die Führer, die der unsichtbare König von Individien aussendet. Sieleben von Almosen der unter ihnen Stehenden, aber in ihrer Einseitigkeit leisten sie, wie die Minister hier, das Grösste; und dann die Niedrigen, die in der Stadt Schiffbruch gelitten haben; die verkannten Genies, denen die Kraft fehlt, Kollektivopolis zu ertragen, die sich aber auch in Individien nicht zur Freiheit durchringen können.”
Mein Freund schwieg. Ich fragte: “Und die Frauen?”
“Wie überall in der Welt, spielen sie auch bei uns hüben und drüben eine wichtige Rolle. Welche? Das zu erkennen überlasse ich gern dir und den Erlebnissen der nächsten Tage.”
Sorgen stiegen in mir auf, wie sollte ich mich in der kurzen Zeit in so aussergewöhnlichen Verhältnissen zurechtfinden? Aber, als hätte der Freund meine Gedanken erraten, sagte er:
“Ich habe dir einen Führer durch Individien bestellt, du wirst ihn noch heute Nacht treffen. Hier in der Stadt kannst du dir allein helfen.”
Er verabschiedete sich von mir, teilte mir noch rasch mit, dass ich am selben Abend, an seiner Stelle, dem Stiftungsfest des grossen Männerchores im Festsaal der Stadt werde beiwohnen müssen - und überliess mich meinem Shicksal.
*
Als ich den Konzertsaal betrat, erhoben sich eben, mit dem Glockenschlag der festgesetzten Stunde, über hundert Männer, von einem einzigen Willen beseelt und eröffneten den Abend mit einem wuchtigen Festchor. Ich bin sonst kein Freund von Männerchören, aber die Gewalt einer ungewöhnlichen Einheit der vielen Stimmen übte einen merkwürdigen Zauber auf mich aus. Der Dirigent war ein kleiner, schmächtiger Mann mit Knebelbärtchen, wie das Schneiderlein im Bilderbuch - von ihm konnte die Kraft, die alle diese Stimmen wie zu einer einzigen zussamenzwang, nicht ausgehen, vielmehr war das ‘Einssein-wollen’ der Sänger selbst so stark, dass sie auch einem leblosen Automaten mit der gleichen wunderbaren Zussamengehörigkeit gefolgt wären.
Der Festchor war zu Ende. Ich wurde an den Tisch der Ehrengäste geführt und musste mich neben den Präsidenten setzen. Er war ein grosser, stattlicher Mann und schien mir die Achtung, die ihm alle zollten, wohl zu verdienen. Aber sine Art, die Menge zu leiten, hatte etwas Übersteigertes, ja, fast Fanatishes, das mich erschreckte.
Einige Nummern des Programms waren schon abgelaufen, ohne dass er einen Augenblick hätte finden können, sich mit seinem Nachbarn zu unterhalten.
“Sie sind erst heute hier angekommen?” wandte er sich in seiner impulsiven Art jetzt plötzlich an mich, “gedenken Sie auch, die andere Hälfte der Insel, jenseits der hohen Mauer, zu besuchen?”
“Ich weiss nicht, ob meine Amtspflichten mich nicht auch dort hinüberrufen werden.”
“Gehen Sie nie, nie weiter als bis zur Mauer! Glauben Sie mir, ich rate Ihnen gut. Dort drüben wohnen Maulwürfe, die im DUnkeln graben, und was sie ans Licht bringen, sind Dreckhaufen, die das Gras am Wachsen hindern. Nur hier in der Stadt pulsiert gesundes, reales Leben; Individien ist die Kloake in die alles Ungesunde, hier Unbrauchbare abgeschoben wird. Beschmutzen Sie Ihre Eindrücke von Kollektivopolis nicht damit.”
“Hat nicht eine Kloake für ein Gemeinwesen auch ihren Wert?”
Er konnte meine Worte nicht beachten, denn der Festorganisator trat auf ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sofort sprang er auf, schlug mit dem Rapier auf den Tisch, so dass die vielen hundert Männer schwiegen, stieg langsam auf den Stuhl und begann also seine Festrede:
“Brüder! Einzig darin, dass wir Brüder sind, liegt unsere Macht”, und nun schilderte er in beredten Worten, wie die Kraft des Einzeln erlahmen muss, wenn er allein steht, wie sie sich aber zu ungeahnter Macht entfalten kann, wenn sie getragen wird, von den gleichgerichteten Kräften derer, die seine Gesinnung teilen. “Wir können zusammen, vereint, mehr erreichen mit unserem Gesang, als der gottbegnadetste Sänger sich allein ersingen kann. Du gehst durch einen grossen stillen Wald und singst aus voller Kehle dein Lieblingslied. Das mag dir und anderen Freude bereiten. Doch, Brüder, wieviel gewaltiger wirkt das Lied, das wir zusammen singen, alle einig und jeder in dem Gefühl, dass rings um ihn die anderen alle ein Gleiches empfinden.” Und mit Worten, die ich nicht wiedergeben kann, schilderte er die Wonne, die jeder von uns fühlt, wenn er mit vielen gemeinsam sich erheben kann über das Kleinliche des engen, schwachen Ichs.
“Gott ist so allgewaltig und so gross, dass einer von uns armen, kleinen Menschen nie allein ihn genz empfinden kann. Nur wer in heiliger Eintracht sich mit den anderen verbindet, kann gemeinsam mit den Brüdern den Hauch der himmelhoch über uns erhabenen Gottheit spüren.”
Und somit forderte er alle Anwesenden auf, die Nationalhymne von Kollektivopolis mit ihm zu singen, und stehend sangen die vielen Menschen.
Die Worte konnte ich leider nicht verstehen, aber ich fühlte den Taumel, in dem sie Menge schwelgte - und empfand doppelt stark mein Fremdsein.
Der Redner sank zurück in seinem Stuhl. Das Geräusch der sich setzenden Menge ging alsbald über in den Lärm der schwatzenden Herde. Der Präsident erhob sich mit schmerzlich verzogenem Gesicht, winkte seinem Stellvertreter und verliess den Saal, ohne dass die Leute seiner geachtet hätten. Mein Nachbar zur Linken flüsterte mir zu: “Er hofft in kurzer Zeit Minister am Hof des Königs zu werden.”
Sicher war er einer jener Menschen, die ganz auf dieser Seite der Insel in grossartiger Einseitigkeit nur auf ein Ziel hin leben.
Der Chor sang jetzt ein frisches Matrosenlied. Und wieder entzückte mich der wunderbare Zussamenklang dieser vielen, äusserlich so verschiedenen Menschen.
Dann folgte ein altes, bekanntes Volkslied, das der Kapellmeister auf der Violine solo vortrug, und als der Applaus am Schluss nicht enden wollte, gebot er Schweigen mit dem Bogen und spielte eine Weise, die er selbst gefunden hatte.
Aber die Menge vermochte nicht zu folgen und wurde immer lauter, seiner erstaunten Blicke nicht achtend. Als er geendet hatte, klatschten nur wenige, die die Höflichkeit zu wahren wussten, Beifall. Mich aber hatte diese Musik merkwürdig ergriffen. Vielleicht war der Dirigent ein Freier drüben in Individien und ein Sklave hier in der Stadt und hatte dieses Amt nur übernommen, um nicht zu verhungern!
Beinahe stillvergnügt, ganz in sich abgeschlossen, ein Einsamer unter den vielen Gemeinsamen, sass er mir nachher gegenüber am Ehrentisch, aushaltend wie ein Sklave die Gegenwart der vielen Menschen, die ihn nicht verstanden und doch ernährten. Ich versuchte über den Tisch ein Gespräch mit ihm anzufangen; es ging im Lärm unter.
Der Rausch, der jetzt die Menge immer mehr ergriff und das in sich gekehrte Gesicht des Dirigenten mir gegenüber, wurden mir zum unerträglichen Gegensatz, so dass ich, trotz des Wunsches, die Verhältnisse der Insel kennenzulernen, nicht mehr länger zu bleiben vermochte. Ich verabschiedete mich vom Stellvertreter des nicht mehr erschienenen Präsidenten, Müdigkeit von der Reise vorschützend, und fand leicht den Weg zur Wohnung des Oberpfarrers.
Dort wartete ein Polizeibeamter, der mich im Namen der Behörde ersuchte, ihn in das Suicidarium zu begleiten. Es war Gesetz, dass jeder, der sich dort meldete, erst dann sein ernstes Wollen vollbringen durfte, wenn er sich mit dem Oberpfarrer besprochen und auch mit diesem keinen anderen Weg gefunden hatte.
Der Weg zum Suicidarium führte abwärts nach Westen. Angelehnt an die hohe Mauer, am tiefsten Punkt der Insel, bildete das Haus einen Teil der grossen Krankenanstalt, die ich schon vom Schiffe aus gesehen hatte. Ich wurde durch einen langen Gang geführt. Als ich in das Gemach eintrat, erschrak ich: vor mir stand der Präsident des Männerchores, der nach seiner wuchtigen Rede hier gestrandet war.
“Ich habe meine Rolle ausgespielt in Kollektivopolis,” sagte er, “denn alles was mir heilig ist, habe ich heute abend ausgesprochen, die andern aber spürten nicht, wie heilig es mir ist. Ich hasse Individien und kann mich nicht dazu verstehen, dort mein Heil zu suchen, darum bleibt mir nur dieser WEg, der freiwillige, schmerzlose Tod.”
Hinter ihm sah ich eine kleine Türe mit eisernen Riegeln. War das eine der Stellen, die Einlass nach Individien boten? Ich schwieg, denn ich fühlte meine Ohnmacht, ihm zu helfen.
“Die, welche ein Doppelleben führen können, mögen für sich recht daran tun - ich kann es nicht, ich kann nicht zweien Herren dienen.”
“Aber steht nicht auch geschrieben: gebet dem Kaiser was des Kaisers und Gott was Gottes ist?”
“Das mag für Krämerseelen gelten, ich kann mich nur ungeteilt einem Einzigen hingeben.”
Da öffnete sich die kleine Türe und ein Greis in weitem blauen Mantel trat zu uns herein und sprach:
“So komm und gib dich ungeteilt dem einen hin, das wir hier drüben suchen.”
“Um langsam zu verhungern und als verbitterter Eingebrötler, mich mit Phantasien tröstend, auf den Tod zu warten? Nein, da will ich lieber selbst schon jetzt ein Ende machen. Ich glaube nicht an Euren Zauber, der den Unzufrieden Frieden bringen soll.”
“Wie du willst”, sagte der Greis. “Wir haben, noch keinen gezwungen, zu uns herüber zu kommen. Doch Ihr”, und er wendete sich mir zu, “Ihr seid uns von Euerem Freund besonders empfohlen, wollt Ihr mir folgen?”
“Darf ich diesen Menschen seinem Shicksal überlassen?” fragte ich.
“Jeder Mensch schmiedet sein Schicksal selbst und wer andere daran hindern will, ihr Geeschick zu erfüllen, der ladet nur unerträgliche Lasten auf sich. Darum kommt, ich will euch durch Individien führen, jede Nacht, und, wenn eure Kraft ausreicht, bis auf die Höhe des grossen Berges, den nur wenige ersteigen.”
“Ich komme” - doch ich musste mich noch einmal fragend nach dem Verzweifelnden wenden, denn ich fühlte sein Zögern. Der Führer schritt durch die kleine Türe voran. Stumm wies ich dem Selbstmörder den einzig noch möglichen Ausweg.
“So geh ich mit”, sagte er plötzlich entschlossen, “es ist des Menschen unwürdig, in den Tod zu flüchten, solange er nicht jeden Weg, der sich ihm öffnet, gegangen ist.”
I. Nacht
Wir traten durch die kleine Türe ein; uns blendete ein sonnenloser, kalter Tag.
“Hier ist die tiefste Stelle Individiens, der Ort, wo jeder erst sich selbst erkennen muss in seiner Schwachheit, die nach einem Gotte schreit, und in der Kraft, die wähnt, ein Gott zu sein.”
So sprechend, führte uns der Greis in einen dunkeln Wald. Viel Unterholz verbot, vom schmalen Wege abzuweichen. Da sah ich eine kleine Hütte rechts, nicht weit von uns, und dort stand eine gleiche auf der andern Seite.
So seien überall Einsiedeleien, sprach der Greis, doch vor einander wohlverborgen, hier im Wald verstreut.
Ein shcallend Lachen hemmte plötzlich unsern Schritt; es drang aus einer im Gestrüpp verborgenen Klause. Und fragend sah ich auf den Führer; dieser lauschte erst eine kleine Weile, bis er sporach:
“Er lacht wohl über eine grosse Torheit, die er eben erst als solche hat erkannt und bis zum heutigen Tag als unerschütterliches Dogma blind verehrte.”
Ein anderer sass vor seiner Hütte, einen Brei aus Erde, Sand und Wasser rührend. Neben ihm stand eine zwerghaft kleine Kirche oder Burg aus Steinen und dem Brei gemauert, eines Knaben allerliebstes Spielzeug.
“Was machst du da?” befragte ihn der Greis.
Er sah uns mit gescheiten Augen an und sagte ernst:
“Ich schaff ein Werk, das mich und meine Kindeskinder überdauern soll - der erste Regen wird es zwar vernichten ganz und gar; es muss manch edlem Zwecke dienen einst - denn nicht einmal ein Kind wird damit spielen; und auch ein heiliger, unergründlich tiefer Sinn liegt drin versteckt - da keiner, auch ich selbst nicht wissen kann, ob’s eine Burg, ein Kirchlein oder gar ein Wirtshaus werden soll.” Der Führer nickte Zustimmung und ging. Doch unverständlich und unheimlich war mir solches Treiben eines klugen Mannes.
Ich wollt, dem Führer folgend, ihn befragen, da schrekte uns ein schrilles Schreien wie aus tiefster Not. Ich glaubte, das wir, Hilfe bringend, eilen würden, allein der Greis blieb unbeweglich stehn. Und schaurig scholl das Schreien wieder durch den Wald.
“Wir können diesem jetzt nicht helfen”, sprach der Führer ernst, “er hat die alten Götter schon geopfert und schreit nach neuen, die er noch nicht fand, weil er ein Kind der Gottheit bleiben will. Er würde sich an mich, als an den Vater klammern, wollte ich ihm helfen, und so, weiter kindlich, Sohn des Vaters bleiben.”
Wir schritten zu, allein der Mann, der uns bis hierher schweigend war gefolgt, rief laut in zorniger Verzweiflung:
“Lasset mich zurück! Ihr bringt mich in ein Tollhaus, wie es ärger keines gibt. Ich kann nicht weiter.”
Ruhig sprach der Greis:
“Hier gibt es kein zurück! Doch tröste dich, dies ist noch nicht der Ort, den ich dir zugedacht, und von den Klausen hier ist keine dir bestimmt.”
Wir gingen weiter und es folgte langsam und widerstrebend uns der Mann.
Jetzt sahen einen wir, der schnitzte stillvergnügt an einem kleinen Holz, das er im Wald gefunden.
“Was schaffst du?” fragte ihn der Greis.
“Das weiss ich selber nicht! Bald scheint es mir, als sei’s mein Ebenbild, bald glaub ich einen Götzen zu erschaffen, den ich doch nie verehren kann.”
“Nicht lange mehr wird dieser hier verweilen”, sprach der Führer, “denn schon hat er das sinnlos Sinnige des Spielens sich erkannt - doch dieser wird noch lange warten müssen.” Und damit deutet er auf eine andere Stelle. Von dort ertönte eine kräftige Rednerstimme, die zu sich selbst aus tiefster Überzeugung wuchtige Worte sprach.
“Der glaubt noch an die heilige Kraft des Wortes und will durch sie die Zweifel sich verscheuchen - doch umsonst.”
Jetzt leuchtete das Meer durch lichter stehende Bäume; wir traten aus dem Wald auf silbern sandigen Strand in eine weite, stille Bucht; unzählige kleine Inseln lagen draussen.
“Dort wird er seine Hütte finden,” sprach der Greis, dem Manne winkend, der zurückgeblieben.
“Wer glaubte, ohne Doppelleben, wie bisher, einzig dem König jener Stadt zu dienen, muss erst auf einer dieser Inseln wohnen, wo er die andern, die auf gleicher Stufe stehen, wohl sehen, doch nicht hören kann. So wähnt er sich noch einig mit den andern und ist doch schon von ihnen durch das Meer getrennt. Ein jeder dort kann so nur seiner eigenen Tiefe leben Tag und Nacht, im Gegensatz zu diesen hier im Wald. Die fangen schon das Doppelleben an und können über Tag hinüber in die Standt und dort die Rolle, die ihnen zugeteilt ist, weiter spielen. Nur von den Inseln darf uns keiner fort, bis wir es ihm erlaubt.”
Ein Fährmann ruderte uns zu den Inseln hin. Auf vielen sah ich wieder kleine Klausen, dazwischen Bäume, voll mit reifen Früchten.
An einer grössern Insel landeten wir bald. Der Führer bat den Präsidenten, auszusteigen.
“Hier sollst du bis auf weiteres verweilen. Du wirst bald jene, die ein gleiches Schicksal traf, auf diesen Nachbarinseln kennen lernen und dich darum nicht allzu einsam fühlen. Bis heute hast du nur die eine Seite des Geschehens anerkannt: die Aussenwelt und ihre ganze, grosse Macht.
Kommt du dir hier in dieser Abgeschlossenheit allzu verlassen vor, so suche nach der anderen, nicht minder grossen Macht: der Innenwelt. Am reinsten hörst du ihre Stimme in den Träumen. Alltäglich wird ein Führer dich besuchen und einige von den Träumen mit dir deuten, die dir zuerst verworren, sinnlos, unvernünftig scheien. Doch bald wirst du die Macht erkennen lernen, die wie ein Spiegelbild der Aussenwelt dein Leben mitbestimmt, wenngleich du’s nie beachtet. Darum verzweifle nicht, auch wenn du lange keinen Ausweg siehst; es liegt in jedem Menschen eine Möglichkeit, sich selbst zu finden und sich treu zu sein.”
Im Weiterfahren sprach der Greis zu mir:
“Ihr saht bis jetzt noch keine Menschen auf den Inseln, da die meisten in stumpfer Willenlosigkeit das allzu viele Wollen und Vollbringen des bisherigen Lebens überwinden müssen. Sie liegen oft in ihren Hütten, stieren vor sich hin und scheinen zu verblöden, weil, was ihnen bisher Daseinsinhalt war, verloren ging in dieser Einsamkeit. Und solchen Menschen öffnet sich im eigenen Inneren nur schwer der Quell. - Wir wollen einen, der wohl auf dem tiefsten Punkte angelangt ist, hier besuchen.”
Der Fährmann landete, wir stiegen aus. In einer Hütte sass auf dürren Blättern, nackt und abgemagert, Johannes in der Wüste ähnlich, regungslos ein Mann. Er achtet unser nicht, und auf die Fragen, die der Führer stellte, bewegte er kaum merklich eine Hand. Nur seine klaren Augen, welche ohne Starrheit auf einem Punkte ruhten und auch das friedliche Entspanntsein seinr hageren Züge, scheuchten den Argwohn auf den tiefsten Irrsinn.
Der Führer ging hinaus. Ich blieb allein mit dem, der unbeweglich in sein eigenes Ich versunken, mein nicht achtete. So sehr der erste Anblick dieses Menschen mich erschreckt, jetzt fühlt ich einen stillen Frieden in dem kleinen Raum und um die tiefe Ruhe nicht zu stören, verharrt ich regungslos an meinem Platz.
Von draussen hörte man der Meereswoge regelmässigen Gesang.
Drei schöne Feigen brachte jetzt Greis in offener Hand und legte eine nebehn ihn, der sich nicht rührte, und reichte mir die zweite und begann die dritte selbst zu essen, mir bedeutend, solches auch zu tun.
Dann liesen wir mit stummen Gruss die Hütte.
“Der Mann hat wohl seit vielen Tagen nichts gegessen, so sehr ist er in seine Innenwelt vertieft, doch jede Mahnung, jedes Bitten, seinen Körper nicht so zu verachten, würde ihn nur zwingen, sich fester abzuschliessen von der Aussenwelt, weil ihre Macht er überschätzt, und weil er ihre Ohnmacht noch nicht kennenlernte. Vielleicht hat auch das Beispiel, das wir gaben, so gewirkt, und doch ist dies das einzige, womit wir oft die Lebensgeister wieder wecken.”
“Und wenn er doch verhungert?” fragte ich.
“Er wird es nicht, es sei denn, dass ein Führer, wel er verzagt an seinem Lebenswillen, ihm helfen wollte auf unrichtige Art. Vielleicht auch hat im Schaffen für die andern er seine Kraft gebrochen vor der Zeit und kann drum nicht mehr leben, nur aus sich. Dann wird er sterben müssen, alles Rettenwollen wäre ein unnütz Quälen nur für ihn und für die Helfenden.”
Wir stiegen in den Kahn und fuhren weiter, einer anderen Insel zu. Der Fährmann liess die Ruder ruhen, und der Führer wies durchs Gestrüpp: auf weichem Moos, eidechsengleich sich freuend an der warmen Sonne, lag dort ein Mann und spielte mit zwei bunten Schmetterlingen, die sich auf seinem nackten Körper, wie auf einer Blume froh ergötzten und sprach mit ihnen, wie mit guten Freunden. Ich konnte seine Worte nicht verstehn - so sehr ich’s wünschte, doch labte mich sein frohes Kinderlachen, als sich auf seinen Knien die beiden Vöglein gegenüberstellten und mit den Flügeln frohe Botschaft winkten.
Wir fuhren weiter.